Category Archives: Emergent

Unzeit- gemäßheit

Wenn man in einer bestimmten kritischen Kultur als relevant gelten will, dann soll man bitteschön nicht versuchen, zeitgemäß zu wirken. Denn sonst macht man sich verdächtig, sich dem sogenannten Zeitgeist anzubiedern. Stattdessen zeigt man am besten, das man unbequeme Wahrheiten präsentiert, die dem Trend der Zeit diametral entgegengesetzt sind (der sogenannte Sarrazin Effekt). 

Sanduhr

(Copyright: http://www.flickr.com/photos/bogenfreund/)

Ob das nicht auch ein kleinen wenig lächterlich ist, sei dahingestellt. Aber etwas Wahrheit hat dieser Gedanke: wenn man etwas relevantes tun und sagen möchte, muss man sich hüten nicht bloß ein Echo der Stimmen zu sein, die einen umgeben. Es braucht Rückzug und – um jetzt spaßenshalber mal in ganz ekliges “Zukunft-braucht-Herkunft-Fahrwasser zu kommen – Rückbezug. 

Das ist wichtig bei dem Gedanken der Kontextualisierung. Es geht nicht um einen billigen Aufruf zur Modernisierung. Synchronität allein reicht nicht. Der Versuch einer einfachen Übertragung des Christentums wirkt schal und mißlingt meistens (“Christsein kann auch cool sein – siehe, wir haben jetzt Schlagzeug im Gottesdienst”).

Aber bei einer einfachen Asynchronität kann es auch nicht bleiben. Neulich las ich auf einer Homepage von ultraorthodoxen Katholiken die Meinung, dass die Junge Leute heute vor allem an einer hochliturgischen, streng konservativen lateinischen Messe interessiert wären. Die Tendenzen zur Selbststabilisierung sind in den Kirchen heute allgegenwärtig und umso offensichtlicher eine Krise des Christentums wird, umso mehr klammert man sich an Althergebrachtes. 

Dagegen möchte ich den Begriff der Wiederholung erklären, wie er von Kierkegaard, Walter Benjamin und zahlreichen anderen gebraucht wird. Wiederholung bedeutet hier nicht, etwas genau so zu tun, wie es vorher getan wurde. Zum Beispiel ist ein beliebtes Beispiel: Karl Marx. Bei der “Wiederholung” von Marx geht es nicht darum, dogmatischer Marxist zu werden, sondern sowohl seiner Gegenwart als auch der Geste von Marx treu zu sein und diese Geste in der Gegenwart zu wiederholen. Dabei kann man uU zu ganz anderen Resultaten kommen, als das historische Vorbild. 

Vielleicht ist das ein Begriff der uns in der Diskussion um Kontextualisierung weiterhilft: es geht um eine Wiederholung der Geste des Christentums, der Geste, die in den Evangelien und bei Paulus jeweils verschieden wiederholt wird. 

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Kontext- ualisierung II

Bei Peter ist eine Diskussion entstanden über genau die Frage der Kontextualisierung. Nun haben wir festgestellt, dass das Christentum eh eine ständige Übersetzung ist, dass es eh die Bewegung von Geschicten und Symbolen zu Begriffen ist, dann ist die Frage: wozu dann Kontextualisierung?

Das Problem ist, wenn dieser Prozess einfriert und eine bestimmte Begriffsbestimmung (Gesetz und Evangelium zB) zum überzeitlichen Maßstab genommen wird. Es gibt auch hier in der akademischen Theologie Versuche der Kontextualisierung. Aber oftmals bleiben diese eine Arbeit an den Begriffen, die als christliche Urbegriffe vorrausgesetzt werden: Gnade, Sünde etc.. Es bliebe die Frage: “Was bedeutet Gnade heute?”. Ich denke tatsächlich, dass man nicht ohne die Begriffe auskommt, aber es geht darum auch wieder den Prozess zwischen Begriff und Symbol in Gang zu bekommen, an beiden Stellen zu arbeiten: am Begriff und an der Narrative (und am Symbol). 

Kontextualisierung ist auch notwendig, um das Christentum aus vergangenen Sprachgestalten, die es heute eher behindern zu befreien. Dabei fragt eine Gemeinschaft, was diese Symbole und Geschichten vor Ort bedeuten. Sie guckt sich um, wo sie Gott am wirken in der sie umgebenden Kultur sieht und sie fragt nach Widerständen und zerstörerischen Impulsen in unserer Kultur heute.

Denn Kontextualisierung soll nicht bloß zu einer liberalen Adaption des Christentums an eine Kultur führen. Es ist immer auch prophetische Intervention (siehe die Idee des dreifachen Amtes der Kirche). Doch dazu mehr im nächsten Post.

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Kontext- ualisierung I

Vergangenes Wochenende, trafen sich verschiedene Leute aus der Emergent Bewegung um zu den wirklich großen Thema “Was ist das Evangelium?” Stellung zu nehmen.

Wenn man mit einigermaßen offenen Augen durch die christliche Szene spaziert, wird man eventuell recht schnell auf die Frage kommen: “Kann man überhaupt von dem einen Evangelium sprechen? Erzählen nicht verschiedene Gruppen ein ganz verschiedenes Evangelium?”.

Ich möchte hier den Fakt der Kontextualität des Evangeliums nachgehen. Das Evangelium ist immer ein “Evagengelium nach Johannes, Markus, Lukas, Paulus” etc. Dabei ist ganz naiv zu sagen: das Evangelium ist zunächst eine Geschichte bzw. eine Sammlung von Geschichten. 

Paul Ricouer spricht von einem “Bedeutungsüberschuß” (engl. surplus of meaning) von Symbolen, Metaphern und Narrativen gegenüber Begriffen. Anders ausgedrückt: ein Symbol, eine Geschichte etc. lässt sich nicht verlustfrei in Sätze packen. Man kann nicht einfach sagen, was dieses Symbol bedeutet; es ist immer “dies und mehr als dies”. 

Auf der anderen Seite kommt man eben nicht herum, immer wieder zu explizieren, was dieses Symbol bedeutet. Entweder in Anfragen von außen, in Auseinandersetzung mit Menschen, die dieses Symbol nicht intuitiv verstehen oder einfach um sprach- und handlungsfähig zu bleiben. So wird aus einem Symbol ein Definition, eine Botschaft. So entsteht aus der narratio das kerygma.

Somit ist also jede Predigt, jedes begriffliche Reden über die symbolisch aufgeladene Christusnarrative der genauso notwendige wie unmögliche Versuch, das auf den Begriff zu bringen, was nicht auf den Begriff zu bringen ist. Folglich ist das Christentum immer schon Übersetzung, ein nicht zum stehen kommender Prozess der Übertragung von Symbolen in Begriffe. 

Doch diese Begriffe “erkalten”, sie werden zu einem zeitlosen Extrakt der “wahren Botschaft des Christentums”. Dies macht es erforderlich, von dem Fakt der Kontextualität (Christentum ist immer die Beschreibung des Unbeschreiblichen in einem gewissen Kontext) zur Notwendigkeit der Kontextualisierung zu gehen. Hier geht es darum, erstarrte Begrife aufzubrechen. Es geht darum, den “Rest”, der nicht übersetzt worden ist und der nicht übersetzbar ist wieder geltend zu machen. Es geht darum, den Prozess der zum stehen gekommen ist (oder der zum Beispiel in eine Sackgasse geraten ist, wenn der einzige legitime Kontext die Akademie wird) wieder in Gang zu bringen. Es geht darum, dass kerygma im Fluß zu halten ohne jedoch die Notwendigkeit, eine Botschaft “herunterzubrechen” zu leugnen. Wir müssen immer wieder -auch in Form von Satzwahrheiten – über die Symbole des Glaubens reden, doch dabei die Vorläufigkeit dieser Satzwahrheiten immer wieder deutlich machen.

Das wäre mein erster Gedanke dazu, worum es bei der Kontextualisierung geht. Aber ich merke, dass hier mir selbst vieles noch unklar ist.

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Alternativer Karfreitag

Gestern hatte ich die Ehre an einem Alternativen Gottesdienst von der Kubik-Gemeinschaft im Café NUN in Karlsruhe teilzunehmen.

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(Bilder von Hannegret Lindner: hannafaktur.de)

 

Dieser Gottesdienst beschäftigte sich mit dem Symbol des zerißenen Vorhangs. In den Evangelien wird berichtet, wie in der Stunde des Todes Jesu der Vorhang im Tempel zerriss. Dieser Vorhang trennte das Allerheiligste, in dem Gott Wohnung bezog, vom Rest des Tempels. Nur zum Yom Kippur, zum großen Versöhnungstag, durfte der Hohepriester das Allerheiligste betreten und dort stellvertretend für das außererwählte Volk Gott opfern. 

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