Die Rebellion des David Bazan

Ich möchte hier den Raum nutzen, um einen Künstler vorzustellen, der mir in den letzten Jahren sehr wichtig geworden ist. Sein Album “Curse your Branches”, dass bei mir gerade aus “heavy rotation” läuft, ist zwar vor einigen Jahren schon erschienen, da er aber in Deutschland nie bekannt geworden ist, macht das glaube ich gar nichts. 

Es gibt diesen alles durchdringenden Blick, eine Hellsichtigkeit, die wie ein Fluch wirkt, die Unfähigkeit sich mit den allzumenschlichen Eitelkeiten irgendwann schulterzuckend abzufinden. Der Träger dieses Blickes kann im Leben eigentlich nur zwei Professionen sinnvoll ausüben: entweder wird er Prophet oder Alkoholiker. Und weiß Gott, vielleicht liegt beides auch näher beieinander als man annehmen mag.

Mit einem solchen Blick gestraft ist auch David Bazan ehemaliger Frontmann der Indieband “Pedro the lion”, dessen erstes Soloalbum “Curse your branches” bereits im Jahr 2009 erschien. Darin hält er im Lied “Lost my shape” Rückschau auf seine mittlerweile fast 20 jährige Musikkarriere und erinnert sich, wie er vor Aufregung Zigaretten rauchend vor dem Club stand, in dem er spielen sollte, was er mit den billigen Rockstargehabe kontrastierte, das er später an den Tag legte. Den Tiefpunkt dieser Entwicklung bildete für ihn das Cornerstone Festival 2005. Auf diesem Festival, das von den hippiesken Jesus People gestartet wurde und zu einem Eckpfeiler der sich selbst genügenden christlichen Subkultur der Vereinigten Staaten wurde (zu der wohl Künstler wie Bazan nie wirklich dazugehörten), wurde er 2005 herausgeworfen nachdem er Vodka aus Milchflaschen getrunken hatte. Dies stellte auch gleichzeitig das Ende seiner langjährigen Band Pedro the Lion dar. Er singt:

“You used to sound like a prophet
Everyone wanted to know
How you could tell the truth without losing that soft glow
But now you feel like a salesman closing another deal
Or some drunk ship captain raging after the white whale
You used to feel like a forest fire burning
But now you feel like a child throwing tantrums “

Der Prophet, der er war

Denn gewisse prophetenhafte Züge konnte man Pedro the Lion in der Tat abgewinnen. Er erzählte Geschichten voller morbider Faszination für das Abseitige, Abgründige der menschlichen Existenz, die Bazan mit einer lakonischen Präzison auf einen Satz zu bündeln wusste und die dennoch nie in eine ätzende moralinsaure Anklage abfielen.  Man fragt sich, ob da wirklich nichts mehr bleibt von dem Songwriter, der damals an Orte vorstieß, an die sich sonst kaum jemand wagte. Ein Songwriter, der allein deshalb schon einen Orden verdient, weil er nicht durch larmoyante Trennungssongs aufällt, sondern über Morde, Ehebruch und Machtmissbrauch schrieb, besonders aber über die selbstgerechte Heuchelei der sogenannten Guten: “On the one side: The bad have lived in wickedness but on the other side the good have lived in arrogance”.

Man denke an das wunderbare Album “Control”, ein Konzeptalbum, welches das Schicksal eine Paares nachzeichnet. Es beginnt mit dieser kitschige Szene am Strand, beide gehen Hand in Hand und lauschen den Möwen, die um sie kreisen. Da durchfährt es den einen: “I could never divorce you without a good reason. And though I may never have to its good to have options”. Optionen haben, so scheint Bazan andeuten zu wollen, dass ist doch der Schatten über fast allen bedeutsamen menschlichen Beziehungen heute. Auch wenn diese Sätze unausgesprochen bleiben, so erzählt Bazan weiter mit seinen genialen Zeitsprüngen. Denn das nächste Lied setzt unvermittelt mit einer Ehebruchszene ein, die äußerst pikant erzählt wird. So entdeckte Bazan hier wohl seine Leidenschaft für anatomische Details (“Seed, sweat, spill, cum”), aber er spinnt den Faden, den Leonard Cohens geniales “Hallelujah” anstößt, weiter und expliziert Cohens Gedanke. Da durchzuckt es den Protagonisten im Moment des Höhepunkts mit religiösen Gefühlen: “Oh my sweet rapture, I hear Jesus calling me”.
Alles wird mit einer abgeklärten Distanz erzählt, welche die Kunst beherrscht alles Wesentliche lakonisch in einem Satz zu bündeln. Später bringt Bazan – der Protagonist des Albums wird soeben von seinem Boss wegen schwächelnder Leistungen gefeuert – den utilitaristischen Geist des Kapitalismus auf einen Punkt: “If it isn’t penetration then it isn’t worth a kiss”. Diese Verbindung von Liebe und Berechnung, Sex und Ökonomie wiederholt sich in dieser Zeit oft in seinen Texten. So erzählte er im Vorgängeralbum “Winners never quit” von einem Politiker, der, als die Hochrechnungen zur erhofften Wiederwahl immer schlechtere Erfolgsaussichten versprechen, zu gänzlich unmoralischen Methoden greift:

To get behind her desk and make
Some big decisions
Power can be such a tease
You’re always wanting more
It’s good to know that just like sex it can be paid for
“When you’re nothing but a boyfriend
Dangling by a thread
Keep in mind the bottom line
Diamonds are a girl’s best friend”

Im Land des platten Optimismus, der “antitagrischen Zuversicht”, in dem alles schon irgendwie “ok” werden soll, schrieb er Lieder, die von der irreduziblen Eitelkeit, vom Allzumenschlichen und vom Irreparablen handeln. Ganz ähnlich wie der Ich-Erzähler des Buches Kohelet durchdringt er alle Lebenskonzepte und es ist erstaunlich mit welcher shakespearesken Genauigkeit und dabei auch ein wenig mit Freude an der Provokation er noch die dunkelsten Windungen des menschlichen Herzens aufzeigen kann. Die Vollendung seiner lakonisch-distanzierten Erzählweise findet Bazan am Ende des “Control” Albums, in dem der Protagonist der Strandszene mittlerweile von seiner Frau mit einem Messer verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert wird.

Die Verwindung 

D0ch diese “prophetische Geste” scheint in der Phase nach Pedro the Lion, in der er als Solokünstler auftritt, stark in den Hintergrund zu treten. Stattdessen erlebt man einen Mann, der mit seinen Glauben ringt, ja der den Verlust seines Glaubens zu verwinden sucht. Für David Bazan, der der Sohn eines pfingstkirchlichen Musikpastors ist, wäre es aber untypisch einfach gelöst in den Sonnenuntergang zu reiten und Adieu zu sagen.

Stattdessen fühlt man sich in manchen seiner Texte wie zu Gast in einem billigen Motel, in dem ein heruntergekommener alterndern Musiker haust und in dem alles von einem siffigen Fettfilm überzogen ist.
“Trouble getting over it,Is what you’re in for/ So pour yourself another/ ‘Cause it’ll take a steady pair of hands”. Viel Alkohol, etwas Sex und immer wieder Ärger mit seiner gläubigen Ehefrau und den Rest seiner Familie (“manche von ihnen fasten für mich, um Fürbitte für mich zu leisten”). Er erzählt davon, wie er am Bett seiner Tochter steht und sich fragt, ob diese auch schon den Alkoholgestank so sehr verachtet, wie ihre Mutter und man ahnt, dass es sich hier um ein schmerzhaft autobiographisches Album handelt, dass die Jahre zwischen dem Cornerstone Ereignis und seiner Solokarriere verarbeitet.

Immer wieder nimmt er trotzig Bezug auf die biblische Geschichte, die er nie anders als wörtlich zu verstehen gelernt hat: “Wait just a minute/ You expect me to believe/ That all this misbehaving/ Grew from one enchanted tree?”. Dabei wirkt das ganze Album eben nicht wie ein Album eines umfassenden Verlustes des Glaubens, viel mehr wie ein Aufbegehren, eine Empörung gegen Gott, die sich in dem Satz bündelt: “Did you push us when we fell?” Genau diese Zone der Ununterscheidbarkeit zwischen Verwirrung, intellektuellen Zweifeln und an Gott selbst gerichtetes (An)Klage finde ich interessant und nur mikroskopisch entfernt von dem Ort, an dem ich einen erwachsenen, authentischen Glauben sehen möchte.

Im letzten Lied des “Curse your branches” Album fasst er seine damalige Situation zusammen und man sieht einen Menschen vor sich, der trinkt um zu vergessen, nicht etwa, wie so oft, um ein Mädchen zu vergessen, sondern um Gott zu vergessen. Und dennoch wird er heimgesucht von einer gespensterhaften Gegenwart, die ihn so ganz nicht loslassen will und meint fast das Echo des Propheten Jeremiah darin zu hören, der sicher, hätte es schon Whiskey gegeben, diesem auch nicht abgeneigt gewesen wäre: “Nie saß ich fröhlich mit anderen Menschen zusammen, ich konnte nicht mit ihnen lachen. Nein, einsam war ich, weil deine Hand auf mir lag; Warum hören meine Schmerzen nicht auf? Warum wollen meine Wunden nicht heilen? Du hast mich enttäuscht, du bist wie ein Bach, der versiegt. Da dachte ich: Wohlan, ich will sein nicht mehr gedenken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, daß ich’s nicht leiden konnte und wäre fast vergangen.” (aus Jer 15 und Jer 20):

my body bangs and twitches
some brown liquor wets my tongue
my fingers find the stitches
firmly back and forth they run

i need no other memory
of the bits of me i left
when all this lethal drinking
is to hopefully forget
about you

i might as well admit it
like i even have a choice
the crew have killed the captain
but they still can hear his voice

a shadow on the water
a whisper in the wind
on long walks with my daughter
who is lately full of questions
about you

6 thoughts on “Die Rebellion des David Bazan

  1. Depone says:

    Sehr schön! Wie du weißt verehre ich David Bazan ebenfalls. Ich meine mich zu erinnern, dass er darauf hinwies, dass erst mit “Curse your branches” Autobiographisches Raum in seinen Texten einnahm. Ich finde die Solo-Alben sehr stark, und hoffe eigentlich, dass er jetzt nicht nur Alben mit seiner neuen Band macht, sondern auch wieder ein neues Solo-Album. Wie findest Du eigentlich “Strange Neotiations”?

    • arnachie says:

      Danke! Mit dem Strang Negotiations Album bin ich noch nicht so sehr vertraut. Wollte das bei der Vorberietung für den Post eigentlich mehr hören, habe aber mich so im Curse your Branches festgehört. Haste Anspieltipps? Welches magst Du besonders?

  2. […] wenn David Bazan nicht in diesen Charts auftaucht, wollte ich noch auf Die Rebellion des David Bazan, einen Blogeintrag von Arne […]

  3. Depone says:

    Ich finde ja den Opener ›Wolves At The Door‹ schon großartig, und höre das Album dann meist eins nach dem anderen durch. ›People‹ und ›Strange Negotiations‹ beschäftigen sich auch wieder stärker auf die „prophetische Art“ mit dem Leben, von der Du, auf die Pedro-The-Lion-Zeit bezogen, geschrieben hast. ›Won’t Let Go‹ finde ich ein grandioses „Liebeslied“ an seine Frau, über die er einmal gesagt hat, dass er dankbar ist mit ihr als Partner durchs Leben gehen zu dürfen …

  4. arnachie says:

    Danke, Daniel, das sind wirklich sehr schöne Lieder, die es eben leider nicht auf Spotify gibt.

    • Depone says:

      Ja, stimmt – mich wundert ja, dass es mittlerweile ›Curse Your Branches‹ auf Spotify gibt, wenn ich David richtig verstanden habe, will er eigentlich gar keines seiner Werke auf Spotify sehen … die EP ›Fewer Moving Parts‹ kennst Du auch, oder?

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